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Der gute Mensch

Nach Kant

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Immanuel Kant

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Eine entscheidende Situation

Version 1

Stelle dir vor, du bist Scharfrichter, wie auch immer du zu dieser Aufgabe gekommen bist, und hältst eine grosse Axt in deiner Hand. Vor dir liegt ein Mann mit dem Kopf auf einem Holzpflock. Irgendjemand, sei es der Pöbel, der dir zuschreit oder ein ehrwürdiger Richter, gebietet dir den Tötungsakt zu vollstrecken. Was sollst du tun? Zuschlagen oder nicht?

Du könntest es tun,

(1) weil du schlecht gelaunt bist, am Morgen beim Frühstücken ein Glas zerschlagen zu haben.

(2) weil du weisst, dass dieser Mann ein unschuldiges Kind auf brutalste Weise ermordet hat.

Du hättest auch die Möglichkeit es nicht zu tun,

(3) weil du in der Nacht Angsträume kriegen könntest.

(4) weil du nicht diesen armen hilflosen Mann erschlagen möchtest.

Alle diese Gründe (1-4), egal ob für oder wider die Vollstreckung deines Tötungsaktes sind subjektiv. Wieso? Alle sind mit einem Gefühl verbunden: Missmut, Rachlust, Angst oder Mitleid. Alle Gefühle haben ein Objekt, auf welches sie sich beziehen: morgendliche Enttäuschung, Kind, Alpträume oder eben dieser Mann selbst. Es leuchtet dir sicher ein, dass jedermann andere Gefühle zu diesen Objekten haben kann, sonst gäbe es nicht gleichzeitig Gründe dafür und dagegen. Kant sagte, dass dieses Gründe sind, welche unseren Willen bestimmen, also Bestimmungsgründe. Diese subjektiven Bestimmungsgründe nannte er Maximen.

Doch wir möchten ja objektive finden, die sich nicht je nach Blickwinkel und Person verändern. Nehmen wir zum Beispiel folgende:

Für eine Hinrichtung würde sprechen,

(5) dass jeder Mensch, der getötet hat, ebenfalls getötet werden muss.

Dagegen sprechen würde zum Beispiel,

(6) dass man niemals einen Menschen töten darf.

Warum sollen diese Bestimmungsgründe (5+6) objektiv sein? Sie sind objektiv, denn sie beziehen sich weder auf ein bestimmtes Objekt (der "Mensch" ist eine allgemeine Bezeichnung und meint nicht diesen speziellen Mann) noch lassen sie sich von einem Gefühl leiten, welches auf dich selber wirkt. Du kannst nicht für den Menschen als abstrakten Begriff ein Gefühl aufbringen. Kant meinte, es seien Bestimmungsgründe, welche den Willen rein formal bestimmen (ohne Gefühle und ohne deren Objekte).

Doch wie du sicher schon gemerkt hast, haben wir nun zwei objektive Bestimmungsgründe, die dich zu einer genau gegenteiligen Reaktion führen würden. Dies scheint unmöglich, weil wir annehmen müssen, dass man sich nur auf eine Art richtig Verhalten kann. Das heisst folglich, dass einer der beiden falsch sein muss; zwar objektiv aber falsch. Wie können wir den guten finden?

Zuerst müssen wir dafür einmal betrachten was ein Gesetz ist, denn unser Weg verläuft über diesen Begriff. Üblicherweise verstehen wir darunter einen Paragraphen, der uns vorschreibt, wie schnell wir in einem Auto fahren dürfen oder wie viel Steuern wir bezahlen müssen. Doch diese sogenannten bürgerlichen Gesetze sind schon zum vornherein subjektiv, denn sie sind alle mit einer bestimmten Absicht verfasst und haben gleichzeitig ein Objekt. (Zum Beispiel die Sicherheit der Strassen zu erhöhen. In der diese Sicherheit das Objekt ist, welches wir wollen, die wir dieses Gesetz verfasst oder akzeptiert haben.) Kant sagte, dass wir die Wirkung unserer Handlung nicht zu 100 Prozent kontrollieren können. Daher können wir unseren Bestimmungsgrund nur objektiv werden lassen, wenn wir nicht die Wirkung betrachten. Trotzdem hilft uns dieses bürgerliche Gesetz auf die Sprünge. Es stellt ein Prinzip dar, welches einzuhalten ist.

Wir wollen aber objektive Gesetze finden. Wir könnten uns zu Beispiel einen Stein vorstellen. Er steht auf einer Kante vor einem Abgrund und es fehlt nicht viel bis er hinunter in die Tiefe fällt. Auch der Stein hat nun ein Gesetz einzuhalten. Denn wenn nun ein kleiner Windstoss kommt, so gerät er aus dem Gleichgewicht und... fällt natürlich herunter. Sein Gesetz war in diesem Fall die Schwerkraft. Dies ist ein Gesetz der Natur, dem der Stein unbedingt unterworfen ist. Der arme Stein hat nicht die Wahl, ob er fallen will oder nicht. Er kann nicht anders. Dieses Naturgesetz existiert einfach und alle und alles ist ihm unterworfen; im Gegensatz zum bürgerlichen Gesetz, dem wir uns ohne Zweifel widersetzen können. Es ist egal ob es von einer höheren Macht (vielleicht die, welche wir Gott nennen) oder durch den Urknall oder sonstwie zu uns kommt. Es könnte so beginnen:

"Du kannst nicht..."

oder

"Du kannst nur..."

Da wir nun keine Steine sind, sondern einen Willen haben und uns entscheiden müssen, ob wir nun zuschlagen oder nicht, suchen wir kein Naturgesetz. Aber wir suchen eines, das auch einfach existiert, nicht wie das bürgerliche, welches von uns selbst kreiert worden ist. Um dieses zu finden, meinte Kant, müssen wir nun die objektiven Bestimmungsgründe (5+6) prüfen. Dieses führt dann zum moralischen Gesetz. Prüfen, aber wie? Kant hat folgende Regel gefunden: Können sich wirklich alle danach richten, wäre es ein moralisches Gesetz. Würde sich, für den Fall, dass sich alle danach richten, der Bestimmungsgrund selbst widersprechen, so wäre er nicht Gesetz.

Nehmen wir einmal Bestimmungsgrund (5): Der erste Mensch, der jemanden tötete, müsste ebenfalls getötet werden und wer dies ausführte, hätte auch jemanden getötet und müsste daher ebenfalls getötet werden. Dies wäre der Anfang einer Kettenreaktion, welche die ganze Menschheit auslöschen würde. Er kann also nicht Gesetz sein, denn es gäbe ja keine Menschen mehr, die es einhalten könnten. Also hätte der Bestimmungsgrund keinen Willen mehr, den er bestimmen könnte.

Nehmen wir aber Bestimmungsgrund (6) und alle würden sich daran halten, so wäre nicht einmal der Mann hier auf dem Pflock und alle könnten leben. Wir sehen also sofort, dass nur dieses wirklich Gesetz sein kann.

Ein Problem könnte es geben, wenn wir zum Beispiel die Sterbehilfe zu beurteilen versuchen. Vielleicht dürften wir einen Menschen töten, der darum bittet. Um hier eine Antwort zu finden, müssen wir den Bestimmungsgrund präzisieren, denn unserer ist ein wenig zu grob formuliert. Doch dies darfst du selber tun.

Selbst wenn du nun weisst, welches das moralische Gesetz ist, so hast du ja zu Beginn des Beispieles selber erfahren, dass du dich ihm auch widersetzen kannst, also könnte es folgendermassen beginnen:

"Du sollst..."

Du siehst nun, dass dich das moralische Gesetz zwar verpflichtet, dir aber die Freiheit lässt es zu brechen, wogegen das Naturgesetz dich voll und ganz in der Hand hält. Sogar deine Gefühle sind dem Naturgesetz unterworfen, also auch deine Maximen (subjektive Bestimmungsgründe). Wenn du also frei (vom Naturgesetz) werden willst, dann heisst dies: deine Gefühle vergessen und dich einem rein formalen moralischen Gesetz unterordnen. Es mag dir schwierig erscheinen, doch alles, was es dazu braucht, so äusserte sich Kant, ist ein Wille und die Vernunft (dein Denkvermögen). Und es geht noch weiter. Kant sagte sogar, dass es kinderleicht ist und seine theoretischen Ausführungen gar nicht braucht um Maximen von Gesetzen zu unterscheiden, jeder kann es. Sei ehrlich, wusstest du nicht schon zu Beginn, welcher Grund der eigentlich richtige war, und was zu tun war? Töten oder nicht?

Ich denke du hast schon bemerkt, dass im ganzen noch ein Wurm versteckt ist: Stell dir vor, es wäre dein Kind gewesen (Grund 2) oder dass es dich sehr befreien würde jemanden zu erschlagen (Grund 1). Es würde dich wahrscheinlich glücklicher machen, ihn zu erschlagen als rational zu bleiben. Auch Kant hatte gesehen, wie deine eigene Glückseligkeit im Widerspruch zur Moral steht. Vielleicht stimmt deine Handlung zufälligerweise mit der vom Gesetz geforderten überein (im Falle von 3+4). Der Bestimmungsgrund aber ist ein anderer. Wirklich moralisch ist es nur, wenn du nicht schaust, was für eine Handlung du überhaupt ausführst und nicht schaust, ob du etwas möchtest, sondern dich nur an deine Vernunft hältst, welche dir das moralische Gesetz zeigt, unabhängig von Gefühlen, egal wie schwer es dir auch fallen mag.

Die Zusammenfassung all dieser Überlegungen gab Kant im kategorischen Imperativ. Dieser sagt etwa folgendes: Handle immer nach den moralischen Gesetzen, also nicht nach deinen Maximen. Mache deine Maximen zu Gesetzen in dem du sie von Objekten befreist, die ein Gefühl auslösen. Vergiss deinen Missmut, deine Rachegelüste, deine Angst und dein Mitleid und die damit gemeinten Objekte. Damit befreist du deinen Willen von den unumstösslichen Naturgesetzen. Im Originaltext:

"Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne."

Florian Fisch (ff) April 2001, auf www.yetnet.ch/dergutemensch